Hallo Holger,
Ich glaub schon, dass ich dich richtig verstanden habe. Man muss bei der Hermeneutik immer auch den Hintergrund berücksichtigen. Schleiermacher und andere dem Protestantismus nahestehende Philosophen propagierten diese "werkimmanente" Interpretation als Gegenstück zur katholischen Bibelauslegung, bei der immer auch die Ansichten der "Kirchenväter" eine gewichtige Rolle spielten. Demgegenüber wollten die Hermeneutiker ausschließlich auf den reinen Bibeltext zurückgreifen, gerieten dadurch jedoch in die Falle, dass sie die Interpretation ihrem eigenen "Vorverständnis" auslieferten. Ich meine, gerade letzter Punkt stünde im Werk Gadamers an zentraler Stelle (ich muss aber die Einschränkung machen, dass es schon Jahrzehnte her ist, dass ich sein Buch gelesen habe.
So ist es auch mit der Interpretation von Kompositionen: unter Berufung auf die angebliche Werkimmanenz kann man sein eigenes Verständnis trefflich umsetzen. Dazu kommt, dass werkimmanente Interpretation letztlich - wenn überhaupt - nur beschränkt funktioniert, weil sie früher oder später ausdrücklich oder implizit auf ausser dem Werk stehende Kriterien und Begriffe zurückgreifen muss. Alleine die Klärung solcher Begriffe wie "Syntax" oder "Bedeutung" gelingen nicht ausschließlich werkimmanent. Jede Verwendung dieser Begriffe impiziert daher eine vorverständliche Begrifflichkeit.
Ich möchte meine Auffassung zu Goulds Einspielung der Goldbergvariationen noch einmal zusammenfassen: er spielt nicht die Kompositionen Bachs, sondern nimmt sich die künstlerische Freiheit, sie eigenständig zu interpretieren. Das Ergebnis kann man mögen, ich tue es nicht. Für das Verständnis des Werkes sind seine Einspielungen daher völlig bedeutungslos. Was man hört, ist nicht die Bachsche Komposition, sondern ein eigenes Werk Goulds.
VG, Bernd
P.S.: Das Wetter ist herrlich ! Endlich Frühling !
Zitat von Dr. Holger Kaletha
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So ist es auch mit der Interpretation von Kompositionen: unter Berufung auf die angebliche Werkimmanenz kann man sein eigenes Verständnis trefflich umsetzen. Dazu kommt, dass werkimmanente Interpretation letztlich - wenn überhaupt - nur beschränkt funktioniert, weil sie früher oder später ausdrücklich oder implizit auf ausser dem Werk stehende Kriterien und Begriffe zurückgreifen muss. Alleine die Klärung solcher Begriffe wie "Syntax" oder "Bedeutung" gelingen nicht ausschließlich werkimmanent. Jede Verwendung dieser Begriffe impiziert daher eine vorverständliche Begrifflichkeit.
Ich möchte meine Auffassung zu Goulds Einspielung der Goldbergvariationen noch einmal zusammenfassen: er spielt nicht die Kompositionen Bachs, sondern nimmt sich die künstlerische Freiheit, sie eigenständig zu interpretieren. Das Ergebnis kann man mögen, ich tue es nicht. Für das Verständnis des Werkes sind seine Einspielungen daher völlig bedeutungslos. Was man hört, ist nicht die Bachsche Komposition, sondern ein eigenes Werk Goulds.
VG, Bernd
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