Zitat von Hifiaktiv
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"Gääähn ... Ihnen ist langweilig. Sterbenslangweilig. Nicht einmal der Gedanke an eine Schallplattenbügelmaschine erzeugt eine Regung, kyrogenisierte Tonabnehmer lassen Sie ebenfalls saukalt und Ihre Pink-Floyd-Platten kann niemand mehr hören, am allerwenigsten Sie selbst. Endzeit, ganz klar ...
Also, bevor Sie jetzt irgendeinen Blödsinn veranstalten — Pilcher-Schinken glotzen, Kontakte reinigen, Chassis-Schrauben nachziehen, einen Geländewagen bestellen —, hätte ich da einen Tipp für Sie. Genauer gesagt: einen Lautsprecher. Der zugegebenermaßen eine Stange Geld kostet. Der allerdings auch das Potenzial besitzt, mit Ihrer gepflegten HiFi-Langeweile endgültig Schluss zu machen. Was Sie dann noch bräuchten, wäre ein klein wenig Mut. Mut, ausgetretene Pfade zu verlassen und sich ins Abenteuer zu stürzen ... Aber ich nehme da schon was vorweg. Reden wir doch zuerst mal über das Jetzt. Über den Ist-Zustand.
Merkwürdig, nicht wahr: Man müsste doch annehmen, die neuzeitliche Lautsprechertechnik sollte Gesetzmäßigkeiten oder Trends folgen. Doch wer genau hinguckt, der entdeckt weder bestimmte Strömungen noch Kämpfe um technologisches Neuland, sondern vielmehr ein ziemliches Chaos: Auf dem Massenmarkt — den „Unterhaltungselektronik” zu nennen mir zunehmend schwerfällt — geht es nur noch um Design und Miniaturisierung. Die Performance blieb längst auf der Strecke, dahingerafft von schlicht nicht mehr existenten Ansprüchen an Wiedergabequalität. Und was ist bei den Highendern los? Viel — aber ohne erkennbare Richtung: Während die einen dem Gigantismus verfallen sind, basteln die anderen intensiv an Chassis und Gehäusen. Diamantmembranen sind der letzte Schrei, begleitet von Gehäusetechniken, deren CAD/CAM-gefräste Formen an Zauberei erinnern. Andernorts werden die Frequenzweichen nach Quadratmetern gemessen, kommen hochglanzverchromte Treiber-Außenringe zum Einsatz, oder es wird stolz auf die neueste Spike-Generation verwiesen. Ach ja: Nachdem die wirklich innovativen Ideen scheinbar ausgegangen sind, holt man nirwanaverdächtige „letzte Klangreserven” mittlerweile aus zwei zehn Zentimeter langen Kabelbrücken für Bi-Wiring-Anschlüsse — 200 Euro, bitteschön.
Kein Wunder, dass hie und da nicht nur Langweile, sondern sogar Überdruss zu verzeichnen ist. Bisweilen unterbrochen von Hornlautsprechern jeder Couleur und Breitbändern aus den Jahren 1930 bis 2005. Dazwischen tummeln sich Vier-Kilo-Kondensatoren für Hochtöner-Ankopplung, per Fernbedienung umschaltbare digitale Frequenzweichen und automatische Raum-Einmess-systeme. Ach ja, bevor ich's vergesse: Ein paar Unentwegte — die vor zehn Jahren den Knall nicht gehört haben — bauen immer noch am ultimativen Zwei-Wege-Kompaktlautsprecher.
Und anderswo wird verdammt tief gegraben um was denn nun zu exhumieren? Ach du lieber Gott: den Elektrostaten!
Bevor ich mich jetzt echt aufrege, lassen Sie uns doch lieber mal über etwas viel Wichtigeres reden. Nämlich über Klang. Natürlich so, wie ich ihn höre, beziehungsweise interpretiere. Mag sein, dass es ihnen ja ganz anders geht. Denn eine gerne geleugnete hübsche Portion Subjektivität steckt doch drin in der ganzen Sache. Und das ist auch gut so. (Sonst hätten wir vielleicht den Einheitslautsprecher, gewählt von den Lesern und der Redaktion eines so genannten Unterhaltungselektronik-Magazins.) Also, der Klang: Ich versuche mal einen Schnelldurchlauf, so, wie ich es seit etwa 1975 mitverfolgt habe (man konnte damals irgendeine nach Gefühl bemessene Kiste bauen, in der meist ein rundes oder ovales Isophon-Chassis steckte. Oder man kaufte sich einen „Klinger” und fing an, 200-Liter-Bassreflexe mit JBL¬Treibern auszusägen. Klang gar nicht so lausig!). Egal. In den folgenden Jahren ging der Trend etwa so: Zuerst geradezu saumäßig laut. Dann leiser mit mehr Details. Dann noch leiser mit noch mehr Details. Dann unverfärbter mit weniger Bass und — Sie ahnen es — noch mehr Details. Anschließend noch weniger Bass, ganz viele Höhen und, wenn möglich, noch mehr Höhen. Danach kam unglaublich viel Transparenz, dafür keinerlei Dynamik, so gut wie gar kein Bass und schließlich, klar, die Zeitungen veröffentlichten ja den Frequenzgang, wieder mehr Bass, ganz viele Höhen und alles möglichst linear. Das totale Equalisieren und die immer verfärbungsärmeren Chassis gingen auf Kosten des Wirkungsgrads (die Durchschnittsbox hatte 88 Dezibel pro Watt und soff Strom wie ein Loch).
Dann kam die Ära der Elektrostaten mit maximal Zimmerlautstärke, aber unglaublich vielen Details. Dann kamen langhubige Tiefmitteltöner mit ungefähr eine Stunde zurückhängendem Bass und unglaublich viel mehr Details durch den Bändchenhochtöner. Dann kamen Highend-Fünfwegeboxen mit Superhochtöner, keinem hörbaren Zusammenhang, aber sehr schönem Frequenzgang. Dann kamen völlig anämisch schlank bis total knochig oder schon verhungert klingende, voll audiophile Dreiweger mit enormer Räumlichkeit. Unmittelbar darauf wurde die digitalfeste 16-Hertz-Box entwickelt, mit Titan-Mi¬teltöner, Saphir-Hochtöner, Goldkondensatoren, Diamant-Spikes, Tri-Wiring, audiophiler Innenverkabelung und drei Zentimeter Hub, die, Sie ahnen es vielleicht, kolossal präzise war, aber mit jeder zweiten CD total scheiße klang, wofür die Box, wie es hieß, nix konnte. Und um das Maß voll zu machen, krochen hin und wieder ein paar grauhaarige, 200er-Diesel fahrende Gummiring-Zöpfe hinter ihrem stockfleckigen Klipschorn hervor, betrachteten die gramzerfurchten, missmutigen Highender und fragten saublöde, wo denn nun zum Teufel eigentlich der Spaß an der Musik geblieben sei (in üblichen High-End-Läden gelten diese Kerle mit ihren verschrammten Zappa-Platten als Landplage).
So. Der eine oder andere hat seine Box — oder sich? — jetzt wiedererkannt. Und da drängen sich die üblichen gefährlichen Fragen auf: Wo stehen wir? Hilft es, wenn ich mir gefederte Kabelstützen kaufe? Muss ein Raum-Animator her? Gibt es goldene Steckerleisten? Oder soll ich resignieren, mir ein Kompakt-Fünfkanal-Kinosystem zulegen und fortan mit meiner Frau Hugh-Grant-Filme gucken? Okay. Das war die Bestandsaufnahme. Und wenn Sie unbedingt aussteigen wollen, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt. Gehen Sie nur. Verscherbeln Sie Ihre Anlage an die eBay-Pfennigfuchser, kaufen Sie Ohrstöpsel und beginnen Sie mit dem Download von aktuellem Musikmüll. Viel Vergnügen.
Noch da? Keinen Bock auf PCs, Pods, Sticks und anderen Elektronikschrott? Okay: Bei Ihnen besteht Hoffnung. Deshalb kommen wir jetzt zu einer Box für Jungs und jung Gebliebene. Eine, die sich ein paar Freiheiten rausnimmt. Beispielsweise jenen satten, sauberen, gediegenen Bass zu erzeugen. Und zwar stets genug davon, übrigens auch schon bei Zimmerlautstärke. Das ist schon mal richtig gut, weil eben nicht langweilig. Und wenn man draufdrückt, dann fliegen womöglich die Fenster raus. Damit bleibt Rockmusik auch Rockmusik — nicht jener anämische, blutleere Abklatsch von „Bass”, bei dem der üblichen High-End-Diva schon die Knochen aus dem hochglanzpolierten Gehäuse stehen. Großorchestrale Klassik kommt so ebenfalls ziemlich überzeugend raus. Ich persönlich glaube ja, dass die meisten Konstruktionen statisch und messtechnisch betrachtet nicht auf Anhieb falsch aussehen. Dennoch erzeugen sie einfach zu wenig Energie und Druck, um die Wiedergabe wirklich glaubhaft wirken zu lassen. Und wer sich ein wenig auskennt, ehrlich nachrechnet, wie sich Membranflächen, Frequenz und Schalldruck in der Realität verhalten, der lässt unterhalb eines 38er-Tieftontreibers einfach nicht mehr viel gelten (außer vielleicht einen Breitbänder, bei dem zwei Quadratmeter Gehäuse hübsch präzise mitschwingen, aber das ist eine andere Story).
Warum die Lautsprecherkonstrukteure unserer Tage eine solche Scheu vor ordentlichen 38er-Basstreibern haben, kann ich Ihnen auch nicht erklären. Klar scheint zu sein, dass der Markt vordringlich nach schlanken, eleganten Lautsprechern verlangt. Designerisch gelten Hornöffnungen auch nicht gerade als der letzte Schrei, ebenso wenig Bassreflextunnel. Ich persönlich diagnostiziere noch einen weiteren Trend: Wertigkeit vermitteln durch Optik. Lack, Holz, Chrom und exotische Materialien sollen den Stellenwert betonen. Es ist ein wenig wie bei den Uhren: Dickes Gold plus Glasboden sehen gut aus (... wer's mag ...), haben mit der Funktion aber unmittelbar nichts zu tun. Und auch bei den Highendern sollte man langsam aufpassen, dass das Furnier nicht teurer wird als die Chassis."
Text von Roland Kraft
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